Erstens:
Der Rechtsmündige (arab. Mukallaf) – ob Mensch oder Jinn – besitzt Fähigkeit, Willen und Entscheidungsfreiheit. Mit dieser Fähigkeit und diesem Willen glaubt oder verleugnet er, gehorcht oder widersetzt er sich. Wie Allah - erhaben ist Er - sagte: „Und sag: (Es ist) die Wahrheit von eurem Herrn. Wer nun will, der soll glauben, und wer will, der soll ungläubig sein. Wahrlich, Wir haben den Ungerechten ein Feuer bereitet, dessen Zeltdecke sie umfangen hält.” (Al-Kahf:29)
Und Er sagte: „Wir haben den Menschen ja aus einem Samentropfen, einem Gemisch erschaffen, (um) ihn zu prüfen. Und so haben Wir ihn mit Gehör und Augenlicht versehen. (2) Wir haben ihn ja den (rechten) Weg geleitet, ob er nun dankbar oder undankbar sein mag.” (3). (Al-Insan:2–3)
Und da der Rechtsmündige fähig und frei wählen kann, wird er für seine Taten zur Rechenschaft gezogen. Ist es Gutes, so wird es gut sein; ist es Schlechtes, so wird es schlecht sein. Und dein Herr ist keiner, der den Dienern Unrecht tut. Allah - erhaben ist Er - sagte: „Wer nun im Gewicht eines Stäubchens Gutes tut, wird es sehen. (7) Und wer im Gewicht eines Stäubchens Böses tut, wird es sehen. (8)” (Az-Zalzalah:7–8)
Wäre der Mensch hingegen zu seinen Taten gezwungen, so wäre seine Bestrafung für diese Taten ein Unrecht an ihm, und Allah - erhaben ist Er - ist davon vollkommen frei.
Jeder Mensch spürt diese Entscheidungsfreiheit und nimmt sie wahr: Niemand zwingt ihn dazu, das Gebet zu verrichten oder die Moschee zu betreten, ebenso wenig zwingt ihn jemand zum Verbotenen oder einen Ort (des Verbotenen) aufzusuchen.
Zweitens:
Da Allah – erhaben ist Er – der Schöpfer ist, ist es keineswegs verwunderlich, dass Er weiß, was Sein Diener tun wird und wie dessen Schicksal sein wird, ob Glückseligkeit oder Elend. Er – erhaben ist Er – hat dies gewusst und in der wohlverwahrten Tafel niedergeschrieben und befiehlt dem Engel, es zu schreiben, während der Fötus sich noch im Bauch seiner Mutter befindet.
Doch dieses vorherige Wissen ist dem Menschen verborgen, er spürt es nicht und es zwingt ihn nicht, etwas zu tun oder zu unterlassen. Dem Diener bleibt nichts anderes, als zu handeln und er wird für seine Taten zur Rechenschaft gezogen, wie ein Schüler, dem ein Buch zum Lernen gegeben wird, in dem er geprüft wird: Wenn er sich anstrengt, besteht er; wenn er nachlässig ist, fällt er durch. Auch wenn sein Lehrer das zu erwartende Ergebnis bereits kennt, weil er den Schüler kennt und Erfahrung mit seinem Zustand hat.
Und dies ist lediglich ein Gleichnis, um die Angelegenheit den Verstehenden näherzubringen; und Allah steht das höchste Gleichnis zu. Allah ist der Schöpfer des Menschen und weiß um den Verrat der Blicke und was die Brüste verbergen und Sein Wissen um den Zustand Seines Dieners, den Er erschaffen hat, steht über all dem und ist erhabener: „Sollte denn Derjenige, Der erschaffen hat, nicht Bescheid wissen? Und Er ist der Feinfühlige und Allkundige.” (Al-Mulk:14)
Drittens:
Allah – mächtig und majestätisch ist Er – lässt Irre gehen will und leitet recht, wen Er will, wie Er – erhaben ist Er – sagte: „Allah lässt dann in die Irre gehen, wen Er will, und leitet recht, wen Er will. Und Er ist der Allmächtige und Allweise.” (Ibrahim:4), und Er sagte: „Und wenn Allah gewollt hätte, hätte Er euch wahrlich zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber Er lässt in die Irre gehen, wen Er will, und Er leitet recht, wen Er will, und ihr werdet ganz gewiss danach befragt werden, was ihr zu tun pflegtet.” (An-Nahl:93), und Er sagte: „Wen Allah rechtleitet, der ist (in Wahrheit) rechtgeleitet. Wen Er aber in die Irre gehen lässt, das sind die Verlierer.” (Al-Aʿraf:178)
Die Rechtleitung Allahs ist zweierlei Art: Eine allgemeine und eine spezielle. Die Allgemeine ist die Rechtleitung durch Hinweis, Anleitung und Darlegung der Wahrheit, wie Er – erhaben ist Er – sagte: „Was aber die Thamud angeht, so wollten Wir sie rechtleiten, sie aber liebten die Blindheit mehr als die Rechtleitung. Da ergriff sie der Donnerschlag der schmählichen Strafe für das, was sie erworben hatten.” (Fussilat:17), das heißt: Wir haben ihnen den Weg der Wahrheit aufgezeigt. Und Er – mächtig und majestätisch ist Er – sagte: „Wir haben ihn ja den (rechten) Weg geleitet, ob er nun dankbar oder undankbar sein mag.” (Al-Insan: 3)
Was jedoch die spezielle Rechtleitung betrifft: so ist sie für die gläubigen Diener. Sie ist die Rechtleitung durch Erfolg, Unterstützung und Festigung. Dazu gehört die Aussage Allahs, erhaben ist Er: „Das sind diejenigen, die Allah rechtgeleitet hat. So nimm ihre Rechtleitung zum Vorbild! Sag: Ich verlange von euch keinen Lohn dafür. Es ist nur eine Ermahnung für die Weltenbewohner.” (Al-Anʿam:90) Und Seine - erhaben ist Er - Aussage: „Und ebenso haben Wir dir Geist von Unserem Befehl (als Offenbarung) eingegeben. Du wusstest (vorher) weder, was das Buch noch was der Glaube ist; doch haben Wir es zu einem Licht gemacht, mit dem Wir rechtleiten, wen Wir wollen von Unseren Dienern. Und du leitest ja wahrlich zu einem geraden Weg,” (Ash-Shura:52) Und Seine - erhaben ist Er - Aussage: „Diejenigen aber, die sich um Unsertwillen abmühen, werden Wir ganz gewiss Unsere Wege leiten. Und Allah ist wahrlich mit den Gutes Tuenden.” (Al-ʿAnkabut:69) Und Er - erhaben ist Er - sagte: „Aber Allah hat euch den Glauben lieb gemacht und in euren Herzen ausgeschmückt, und Er hat euch den Unglauben, den Frevel und den Ungehorsam verabscheuen lassen. Das sind diejenigen, die besonnen handeln. (7) Dies als Huld und Gunst von Allah. Und Allah ist Allwissend und Allweise.” (Al-Hujurat:7–8)
Was jedoch das Irreführen betrifft: So bedeutet es, dass der Diener sich selbst überlassen wird, ohne dass ihm Hilfe oder Beistand zuteilwird.
At-Tahawi – möge Allah ihm barmherzig sein – sagte in seiner bekannten Glaubenslehre: „Er leitet recht, wen Er will, und bewahrt und erleichtert aus Gunst; und Er führt in die Irre, wen Er will, und lässt im Stich und prüft aus Gerechtigkeit. Und sie alle unterliegen Seinem Willen – zwischen Seiner Gnade und Seiner Gerechtigkeit.”
Der Erfolg bei der Ahl As-Sunnah wa Al-Jama'ah ist, dass Allah dem Diener Seine Unterstützung, Seinen Beistand und das Gelingen der Angelegenheit erleichtert.
Und das Scheitern bedeutet, den Diener sich selbst zu überlassen, ohne Unterstützung und Beistand.
Und man sagt nicht: Warum hat Er diesem geholfen und jenem nicht?
Denn der Erfolg ist eine Gunst, und das Scheitern ist Gerechtigkeit. Und Er – erhaben ist Er – sagte: „Er wird nicht befragt nach dem, was Er tut; sie aber werden befragt.” (Al-Anbiyaʾ:23) Nicht aufgrund Seiner bloßen Macht und Überwältigung, sondern aufgrund der Vollkommenheit Seines Wissens, Seiner Macht, Seiner Barmherzigkeit und Seiner Weisheit. Denn Er – erhaben ist Er – ist der Weiseste der Richter, der Barmherzigste der Barmherzigen. Und Er ist barmherziger mit Seinen Dienern als eine Mutter mit ihrem Kind. Und Er hat alles, was Er erschuf, auf beste Weise erschaffen.” Ende des Zitats, entnommen aus: „Fatawa von Shaykh Al-Islam” (8/79).
Und Er – erhaben ist Er – weiß besser, wer der Gunst würdig ist und wer nicht, wie Er sagte:
„Allah aber leitet recht, wen Er will. Er kennt sehr wohl die Rechtgeleiteten.” (Al-Qasas:56), und Er sagte: „Und so haben Wir die einen von ihnen durch die anderen einer Prüfung unterzogen, so dass sie sagen: „Hat Allah diesen da aus unserer Mitte eine Wohltat erwiesen?“ Weiß nicht Allah am besten über die Dankbaren Bescheid?” (Al-Anʿam:53)
Shaykh Ibn ʿUthaymin – möge Allah ihm barmherzig sein – sagte zur Erläuterung dieser wichtigen Angelegenheit:
„Wenn die Angelegenheit also auf den Willen Allahs – erhaben ist Er – zurückgeht, und alles in Seiner Hand liegt, was bleibt dem Menschen dann für ein Weg? Und welche Möglichkeit hat der Mensch, wenn Allah – erhaben ist Er – für ihn bestimmt hat, dass er in die Irre geht und nicht rechtgeleitet wird?”
So sagen wir als Antwort: Allah – erhaben ist Er – leitet nur den recht, der würdig für die Rechtleitung ist, und Er führt nur den in die Irre, der der Irreführung würdig ist. Allah – erhaben ist Er – sagt: „Als sie nun abschweiften, ließ Allah ihre Herzen abschweifen.” (As-Saff:5) Und Er – erhaben ist Er – sagt: „ Dafür, daß sie ihr Abkommen brachen, haben Wir sie verflucht und ihre Herzen hart gemacht. Sie verdrehen den Sinn der Worte, und sie haben einen Teil von dem vergessen, womit sie ermahnt worden waren.” (Al-Maʾidah:13)
Allah – erhaben ist Er – hat deutlich gemacht, dass der Grund für Seine Irreführung dessen, der irregeht, in erster Linie beim Diener selbst liegt. Und der Diener weiß nicht, was Allah – erhaben ist Er – für ihn bestimmt hat, denn die Vorherbestimmung ist nur dann erkennbar, wenn das Bestimmte bereits eingetreten ist. Er weiß also nicht, ob Allah für ihn bestimmt hat, dass er in die Irre geht oder dass er rechtgeleitet wird.
Warum also schlägt er den Weg der Irreleitung ein und beruft sich dann darauf, dass Allah – erhaben ist Er – dies für ihn gewollt habe?
Wäre es da nicht vielmehr angebracht, dass er den Weg der Rechtleitung einschlägt und dann sagt: „Allah – erhaben ist Er – hat mich zum geraden Weg geleitet“? Ende des Zitats, entnommen aus: „Risalah fi Al-Qadaʾ wa Al-Qadar” (S.14).
Siehe auch die Fortsetzung seiner Worte in der Antwort zur Frage Nr. (220690).
Das Ergebnis ist also:
- Der Rechtsmündige besitzt Freiheit und Entscheidungsfreiheit; er gehorcht oder widersetzt sich aus freiem Willen und wird dafür zur Rechenschaft gezogen.
- Allah weiß, wie das Schicksal Seines Dieners enden wird, und hat dies bei Sich niedergeschrieben.
- Allah unterstützt und hilft Seinem gläubigen Diener und Er weiß am besten, wer der Hilfe und Unterstützung würdig ist.
- Allah lässt wen Er will im Stich, unterstützt und hilft ihm nicht. Sein Beistand ist Gunst, und sein Scheitern ist Gerechtigkeit.
- Der erfolgreiche Diener ist derjenige, der Allah um Unterstützung und Hilfe bittet, denn er ist nicht einmal für den Bruchteil eines Augenblicks unabhängig von Allahs Gunst. Deshalb sagte Er – erhaben ist Er – in der Sure Al-Fatihah: „Dir allein dienen wir, und Dich allein bitten wir um Hilfe.” (Al-Fatihah:5)
Der Kern der Religion dreht sich um diese beiden Angelegenheiten: Anbetung und Hilfeersuchen.
- Der gläubige Diener erkennt die Gunst Allahs – erhaben ist Er – an, er weiß um Seine Wohltat an ihm und schreibt alles Gute und jeden Erfolg Allah zu. So berichtete Allah über die Bewohner des Paradieses, dass sie sagen: „Und Wir nehmen weg, was in ihren Brüsten an Groll ist. Unter ihnen strömen Flüsse. Und sie sagen: „(Alles) Lob gehört Allah, Der uns hierher geleitet hat! Wir hätten unmöglich die Rechtleitung gefunden, wenn uns Allah nicht rechtgeleitet hätte. Die Gesandten unseres Herrn sind wirklich mit der Wahrheit gekommen.“ Und es wird ihnen zugerufen: „Siehe, das ist der (Paradies)garten. Er ist euch zum Erbe gegeben worden für das, was ihr zu tun pflegtet.“” (Al-Aʿraf:43)
Und betrachte, wie der edle Vers einerseits zwischen der Darlegung von Allahs Gunst und Seiner Rechtleitung und andererseits der Tatsache, dass das Paradies durch die Taten vererbt wird, vereint.
So lass die Einflüsterungen beiseite und beschäftige dich mit dem, was dir nützt, denn dieses (irdische) Leben ist die Stätte der Taten und der Saat, und morgen ist die Stätte des Lohns und der Ernte. Wahrlich, die Bewohner des Paradieses empfinden Reue über jede Stunde, in der sie Allah nicht gedacht haben. So strenge dich an, Tugenden zu erlangen, Pflichten zu erfüllen und nach den höchsten Rängen zu streben und bitte Allah um Annahme, Erfolg und Beistand.
Was den Satan betrifft: so versucht er, in die Irre zu führen, doch er hat keine Macht über die aufrichtigen Diener Allahs, wie Allah – erhaben ist Er – sagte: „Wenn du nun den Qurʾān vorträgst, so suche Schutz bei Allah vor dem gesteinigten Satan. (98) Er hat gewiß keine Macht über diejenigen, die glauben und sich auf ihren Herrn verlassen. (99) Seine Macht erstreckt sich nur über diejenigen, die ihn zum Schutzherrn nehmen und die ihn (Allah) beigesellen.” (An-Nahl:98–100)
Und am Tag der Auferstehung wird sich der Satan von denen lossagen, die ihm gefolgt sind, und ihnen klarmachen, dass er keinerlei Macht über sie hatte, außer dass er sie rief und sie ihm gehorchten.
Allah – erhaben ist Er – sagte: „Und der Satan sagt, nachdem die Angelegenheit entschieden ist: „Wahrlich, Allah hat euch ein wahres Versprechen gegeben, und ich habe euch (etwas) versprochen, es aber dann gebrochen. Und ich hatte keine Macht über euch, außer dass ich euch gerufen habe und ihr auf mich gehört habt. So tadelt mich nicht, sondern tadelt euch selbst. Ich kann euch nicht zu Hilfe kommen, und ihr könnt mir nicht zu Hilfe kommen. Ich weise es ja von mir, dass ihr mich zuvor (Allah) beigesellt habt.“ Wahrlich, für die Ungerechten gibt es schmerzhafte Strafe.” (Ibrahim:22)
Wir bitten Allah für uns und für dich um Erfolg, Festigkeit und besonnenes Handeln.
Und Allah weiß es am besten.